"Architektur zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst"

Johannes Stumpf

Impulsreferat

Wir haben es nicht mehr nötig, uns kulturell nach der decke zu strecken. Architektur war immer auch zeichen von herrschaft, symbol der macht. Wer die codizes der architektur verstand, gehörte im wettbewerb der ideen in die vorderste reihe. Könige, fürsten, freiherren und ihre bürgerlichen nachahmer nahmen die ihnen zugewiesenen plätze in der gesellschaftlichen hierarchie auch durch ihr wissen um sinn und form von architektur ein. Architektur spielte hier die selbe rolle, die allen anderen künsten zugewiesen war. Der künstler (und damit auch der architekt) waren dienstbare geister in geschmacksfragen, deren ideenpotential stets auch zur ausdifferenzierung sozialer hierarchien diente. Dies sind eindeutig vergangene Zeiten. Alle herrschaft geht vom volke aus - auch die herrschaft über die diskussion, wo bei uns kultur verortet ist und welche rolle sie spielt. Ein gemeinsames von so vielen herbeigewünschtes gesellschaftliches leitbild existiert nicht mehr - und es ist zweifelhaft, ob ein solches je wieder entstehen wird oder überhaupt noch mal entstehen sollte. Die architektenschaft ist größtenteils noch nicht bei dieser erkenntnis angekommen.

Vor gerade einmal drei wochen wunderte sich beispielsweise mein kollege christoph sattler im rahmen einer öffentlichen diskussion, dass scheinbar niemand mehr den avantgardecharakter seiner arbeit wahrnimmt. Avantgarde heisst vorhut, aber wo ist heutzutage vorne? Auf dem markt der ideen verkauft derzeit der lauteste anbieter die gans. Da der mensch von natur aus zur faulheit neigt, ist die nachfrage beim vorgekauten und leicht verdaulichen am größten. Der körperlichen verfettung unserer gesellschaft entsprechend ensteht eine art geistige verfettung. Dass dieser umstand auch in der architekturwahrnehmung seinen niederschlag findet, ist nur nahe liegend. Wozu führt dies? Das zeichensystem architektur wird nur wahrgenommen, wenn der architekt im übertragenenen sinne in großbuchstaben schreibt. Hier gewinnt natürlich die markante form oder der entwurf fürs herz. Bilbao in der "bunten" und schloßdiskussion in der "bz" bleiben übrig.

Im gegensatz zu anderen künsten besitzt die architektur eine besonderheit: sie hat neben ihrer charakteristik als kunstform auch noch "nützlich" zu sein. Uns deutschen kam diese eigenschaft der architektur gut zu pass. Der spezifisch deutsche funktionalismus der nachkriegszeit konnte sich ohne große not jeder sinnlichkeit entledigen und damit geschickt der eigentlich anstehenden diskussion um die damals noch jüngste vergangenheit entgehen. So wurde einem barbarischen diktat der zweckmässigkeit der boden bereitet. Hier entstand jener bruch zwischen architekten und nutzern von architektur, der den aktuellen stellenwert der architekturdiskussion kennzeichnet. Heutzutage ist bei uns davon vor allem übriggeblieben, dass gebäude zuerst als wirtschaftsgut oder besser: steingewordenes bankkonto wahrgenommen werden. Darüber hinaus gehende anforderungen an unsere gebaute umwelt spielen in der öffentlichen diskussion keine rolle mehr. Dass dies auch anders funktionieren kann, beweisen uns unsere europäischen nachbarn stets aufs neue. Seit jahren fördern beispielsweise die niederländer die architekturwahrnehmung in der Öffentlichkeit (jo coenen, nederlandse architektuur institut etc.pp). was hat dies bewirkt? Unter anderem, dass holländische architektur ein exportschlager geworden ist.

Wenn man heute im ausland nachfragt, wie die architektur deutschlands wahrgenommen wird, erfährt man, dass wir zuerst für unsere deutschen tugenden geschätzt werden, aber kaum für die innovationskraft unserer bauten. Ganz anders die holländer. Niederländische architektur steht (zu recht, wie ich finde) für ein hohes innovationspotential. Damit können auch umsätze erzeugt werden. Und davon profitiert dann auch wieder an irgendeiner stelle die niederländische wirtschaft. Man kann also Kultur bzw. Architektur auch als Wirtschaftsgut begreifen OHNE die Qualität über bord werfen zu müssen... Hier sehe ich auch den ansatz für eine neue qualitätsdiskussion um architektur in unserer gesellschaft. Um bei meinem beispiel zu bleiben: stellt man sich unsere gebaute umwelt als bankkonto vor, dann hängt die höhe der zinsen, die wir erhalten auch und gerade von weichen bzw. sinnlichen qualitäten ab. Wenn also die Kontoführer über die Gestalt unserer Städte entscheiden, muß man ebendiese Kontoführer mit den erforderlichen kenntnissen ausstatten, damit sie mit den ihnen übergebenen werten sinnvoll wirtschaften können. Deshalb brauchen wir eine Diskussion um Baukultur, die über die architektenschaft weit hinausgreift. Für diese diskussion ist bildung notwendig. Geistiges training und gesellschaftlicher diskurs.


Johannes Stumpf ist Architekt in Berlin und hat sich mit interessanten Thesen in seinem Impulsreferat bereits bei uns vorgestellt.


Diskussion

Frage Moderation:
Herr Stumpf, Sie sprachen davon, dass Architektur ihre Rolle als kulturelles Leitmedium in Deutschland weitgehend eingebüsst hat. Es gibt tolle Ideen den Palast der Republik und den Schlossplatz davor aufzuwerten. Eine davon ist der "Fun-Palace" des Architekturvisionärs Cedric Price, eine andere die Fassade nachts zu illuminieren oder im Sommer für Filmprojektionen zu nutzen, wieder eine andere den Palast für die Zeit der Zwischennutzungen und Denkpausen kunstvoll einzupacken. Halten Sie es für baukulturell schädlich, wenn man zu solchen bildhaften Vorstellungen greift?

Antwort Herr Stumpf:
Nein, ganz und gar nicht. All' das hilft, das Thema Architekturwahrnehmung in die öffentliche Diskussion zu tragen. "Schräge" Ideen müssen da genauso Raum bekommen, wie der "Mainstream". Nur so ensteht Diskurs und schlußendlich etwas Neues. Das Schloßareal bietet hierzu auf einzigartige Weise die Gelegenheit.


Frage Moderation:
Frau Goehler wirft den Architekten vor sich nicht genügend in die Diskussion um den Palast der Republik eingemischt zu haben bzw. sich nicht genug in der öffentlichen Debatte zu engagieren. Sehen Sie das auch so?

Antwort Herr Stumpf:
Nein. Ich glaube eher, daß Architektenmeinungen außerhalb der Architektenschaft kein Forum finden. Ideen und Diskurs gibt es bei den Architekten ja reichlich, nur wird Dieser von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Schauen Sie mal in die Feuilletons der großen deutschen Zeitungen. Architektur ist hier ein Randthema und meistens von konservativen Positionen besetzt. Selbst Personen mit nachgewiesener kunenschaftlicher Kompetenz wissen mit Architektur (insbesondere dem, was in den letzten zwanzig Jahren passiert ist) erschreckend wenig anzufangen.