"Architektur zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst"

Werner Sewing

Werner Sewing ist Soziologe, sein letztes Buch heisst "Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur".


Diskussion

Frage Moderation:
Herr Sewing, Sie werden mit dem Satz zitiert: "...einerseits interessierten sich die Sozialwissenschaftler nicht für Urbanismus und Architektur, und andererseits erwarte ich von Architekten keine soziologische Aufklärung."

Dennoch haben Sie als Soziologe bei gesellschaftspolitischen Debatten kritisch Stellung bezogen, etwa zum Berliner Architekturstreit der neunziger Jahre und sich erfolgreich in den Streit um die aktuelle Rekonstruktionslust und Berlins "Neuteutonia" eingemischt.

Lassen wir mal die Theorie beiseite, dass sich die deutsche Architektur in einer Identitätskrise befindet. Ist es nicht eher so, dass die 68er Generation in den Schlüsselpositionen der stadtpolitischen Macht sitzt und den kreativen, weniger ideologisch verbohrten Nachwuchs kein Gehör schenkt, geschweige sie an der Macht teilhaben lässt?

Antwort Herr Sewing:
Das kann man sicherlich so sehen. Wenn Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, sich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ausspricht und damit an die Ideen der Aufklärung und des Humanismus anknüpfen will, liest sich das schon wie eine fragwürdige Kontinuität ihre eigenen Vergangenheit, in der sie als ehemaliges KPD-Mitglied eine unerbittliche Mischung aus Stalinismus und Maoismus vertrat...

Darüber hinaus gibt es natürlich, besonders an den stadtentwicklungspolitischen Machtschnittstellen in Berlin, eine dogmatische Auffassung von Architektur und Städtebau. Ein grosser Teil der 68er Generation ist für diese Auffassung zwar ursächlich verantwortlich, sie hat aber bereits ihren eigenen Nachwuchs ausgebildet, der dafür sorgt, dass sich ihr Werk kontinuierlich fortsetzt.